- Zwischen historischer Titelfeier und Trainerwechsel
- Kaderplanung – Bobic und Manga als Garanten für den Erfolg
- Spielanalyse – Das ‘Hüttersche’ Offensivspiel – hoch intensiv, hoch effektiv
- Märchenhafte Gegenwart und ungewisse Zukunft
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1. Zwischen historischer Titelfeier und Trainerwechsel
Es gibt wohl einfachere Startbedingungen für Trainer, als sie Adi Hütter bei seinem Amtsantritt am 01. Juli 2018 in Frankfurt vorgefunden hat. Die Eintracht befand sich zum damaligen Zeitpunkt im absoluten Fußballolymp, konnte der Verein doch erst knapp zwei Monate zuvor ihr bis dato größtes Spiel der Vereinsgeschichte des 21. Jahrhunderts gewinnen. Getreu Ante Rebićs Motto „Bruder, schlag den Ball lang“ überlisteten die Frankfurter in Person des Kroaten im Finale des Deutschen Pokals Sven Ulreich gleich zweimal, bevor Mijat Gaćinović (aktuell TSG 1899 Hoffenheim) mit dem 3:1 in der sechsten Minute der Nachspielzeit das Spiel final über den FC Bayern München entschied. In nur gut zwei Jahren coachte Kovac, der sich nach der historischen Saison dem deutschen Rekordmeister anschließen sollte, seine Truppe zum Pokalsieg und somit ins internationale Geschäft, nachdem er sie nach seinem Amtsantritt im März 2016 in der Relegation gegen Nürnberg (Hinspiel: 1:1 / Rückspiel: 1:0) vor einem möglichen Abstieg bewahrte. Es glich demnach einem zumindest kleinen Fußballwunder, als David Abraham und der von den Fans zum Fußballgott ernannte Alex Meier den goldenen Pokal in den Berliner Nachthimmel reckten.
Adi Hütter musste demnach in große Fußstapfen treten, nachdem Kovac das Herz der Fans mit dem ersten Titel seit 1980 (UEFA Cup gegen Borussia Mönchengladbach, abgesehen von der Zweitligameisterschaft 1998) zum Schmelzen brachte. Doch der knallharte Alltag übermann den Österreicher dann wohl doch schneller, als es viele für möglich hielten. Hütter, der die Young Boys aus Bern zuvor zum ersten Schweizer Meistertitel seit der Saison 1985/86 führte, musste sich bereits nach einer 2:1 Niederlage beim SSV Ulm in der ersten Runde des DFB-Pokals erste Kritik gefallen lassen; national lag man nach fünf Spieltagen mit nur vier Punkten auf Platz 15. Es verschafften sich bereits erste Stimmen Gehör, welche die Personalie Hütter vehement infrage stellten. Doch wer den so sympathisch auftretenden Trainer aus dem Vorarlberg damals bereits abschrieb, muss sich heute deutlich getäuscht sehen. Hütter gilt längst als fester Bestandteil des Vereins und steht mit seiner eingeschworenen Mannschaft kurz vor Ende der Saison 2020/21 vor einem großen Wurf. Doch was macht die Eintracht so stark?
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2. Kaderplanung – Bobic und Manga als Garanten für den Erfolg
Der Schlüssel der so positiven, sportlichen Bilanz der letzten Jahre liegt ohne jeglichen Zweifel in der ausgereiften Kaderplanung. Zu nennen ist in dem Kontext primär der Sportvorstand Fredi Bobic (seit 01. Juni 2016 im Amt), der in Frankfurt als Vater der jüngsten Erfolge angesehen wird, sowie Chefscout und Experte Ben Manga. Unter ihrer Leitung stieg der Marktwert der Adlerträger von 72,30 Mio. € auf sage und schreibe 227,90 Mio. € (Stand April 2021) an! Und das trotz zahlreicher, namhafter Abgänge, die zuzüglich zum sportlichen Erfolg zu einem Transfergewinn von 26,38 Mio. € unter Bobics Ära beitragen.
Das Transfersystem der Eintracht basiert dabei erstranging auf folgenden drei Eckpfeilern:
- Leihgeschäfte und ablösefreie Transfers zur Risikominimierung
- Spieler mit großem Wachstumspotenzial
- Spieler ohne Zukunft beim Vorverein
- Boateng (AC Monza), Durm, Trapp, Vallejo (FC Granada), Younes
- Ache, Jović, Kamada, Rebić, Sow, Tuta
- Dost (FC Brügge), Hinteregger, Ilsanker, Jović, Kostić, Mascarell (FC Schalke 04), Rebić (AC Mailand), Rode, Silva, Trapp, Younes
Als sich Bobic der Eintracht anschloss, bedurfte es viel Kreativität, denn die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel waren begrenzt. So etablierte der neue Sportvorstand eine Strategie, in der Transfers mit überschaubarem wirtschaftlichem Risiko in Form attraktiver Leihgeschäfte und ablösefreier Transfers zum festen Bestandteil werden sollten. Der damals 19-jährige Jesús Vallejo (aktueller Marktwert: 5 Mio. €) beispielweise, spielte sich bei der Eintracht schlagartig fest und musste nach nur einem Jahr am Main aufgrund seiner überzeugenden Leistungen zurück nach Madrid. Ein weiteres Beispiel für einen gelungenen, kostenfreien Transfer ist Kevin-Prince Boateng, der als wahrer Leader auf dem Platz agierte und der Eintracht zum historischen Pokalsieg verhalf. Aktuellstes Beispiel für diesen Eckpfeiler stellt Amin Younes dar, der sich nach diversen, für ihn schwierigen Stationen im In- und Ausland (Borussia Mönchengladbach, Ajax Amsterdam, SSC Neapel) endlich in einer Mannschaft festzuspielen scheint.
Des Weiteren fällt auf, dass die Eintracht vermehrt Spieler akquiriert, welche bei ihren ehemaligen Vereinen unter dem Radar liefen, bzw. deren Potenzial z.B. durch falsche Einsatzpositionen nie zum Tragen kam. So ist unter anderem Filip Kostić zu nennen, der 2016 mit großen Erwartungen von Stuttgart nach Hamburg wechselte, dem Druck dort allerdings nie gerecht wurde und auf der offensiven Flügelposition zu ineffektiv agierte. Der Kauf des Serben steht sinnbildlich für Bobics glückliche Hand in Sachen Transfers. Der Sportvorstand, der den Flügelflitzer bereits zu seiner Stuttgarter Zeit im Auge hatte, schenkte ihm das Vertrauen (sowie ein System, passend zu Kostics Skillset), welches der Serbe mit seinen hervorstechenden Leistungen bereits seit längerer Zeit zurückzahlt. Ähnliches gilt für Ante Rebić, der bei der Fiorentina nie langfristig ins Team fand und seine Fähigkeiten erst in Frankfurt konstant unter Beweis stellen konnte. Dieser wurde zu einem späteren Zeitpunkt im Tausch gegen André Silva zum AC Mailand transferiert – ein weiterer Glücksgriff Bobićs. Der Portugiese steht aktuell mit 22 Toren nach 27 Spieltagen auf Platz zwei der Bundesliga Torschützenliste.
In Sachen Personalpolitik ist weiterführend auffällig, dass die Eintracht primär junge Spieler im Blickfeld hat. Zwar holte man mit Rode (Alter zum Transferzeitpunkt: 28), Ilsanker (30) und Trapp (28) auch erfahrene Spieler dazu, die eine wichtige Achse bilden, allerdings ist die Mehrheit der Neuzugänge noch recht jung und somit noch mitten in der Entwicklungsphase, siehe unter anderem Sow (Alter zum Transferzeitpunkt: 22), Rebić (22), Silva (23), Kamada (20), Tuta (19), Ndicka (18) und Haller (23). Alle genannten Akteure sind ehemalige beziehungsweise aktuelle Säulen des Teams, obwohl diese zum Transferzeitpunkt das perfekte Fußballalter noch nicht im Ansatz erreicht hatten. Dieses Modell erlaubt es den Frankfurtern mitunter, Spieler systematisch weiterzuentwickeln, um sie anschließend mit großem Transfergewinn weiterzuverkaufen, wie erstrangig an den Beispielen Jovic (Transfergewinn: 40,66 Mio. €) und Haller (Transfergewinn: 43 Mio. €) zu erkennen ist.
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3. Spielanalyse – Das ‘Hüttersche’ Offensivspiel – hoch intensiv, hoch effektiv
Die Scouting- und Transferstrategie eines Vereins mag noch so brilliant sein, am Ende liegt es im Aufgabenbereich des Trainers, die Individualisten zu einer gefestigten Einheit zu formen. Adi Hütter beherrscht diesen Mechanismus par excellence – zum Glück der Eintracht und deren Fans.
Das Prunkstück der Spielidee Hütters liegt in der Offensive. Demnach setzt der Österreicher bereits beim Spiel gegen den Ball großen Wert auf ein stark ausgeprägtes Gegenpressing mit hohem Anlaufen (20,3 Mannschaftspressingaktionen / 90 Min. -> Platz 4 der Bundesliga). Unter anderem bestreiten die Adlerträger mit 70 Defensivzweikämpfen pro 90 Min. die meisten der Liga (fast 6 mehr als in den beiden Vorjahren) und lassen dem Gegner kaum Luft für das Aufbauspiel – demzufolge liegt der PPDA Wert (passes per defensive actions), der die durchschnittliche Anzahl an Pässen des ballführenden Teams bis zu einer Interception, einem Foul, einem Ballgewinn oder einem gewonnenen Zweikampf durch die verteidigende Mannschaft darstellt, bei 9.55 – Zweitniedrigster Wert der Liga! Dass die Mannschaft dabei nicht nur auffällig intensiv, sondern auch erfolgreich agiert, zeigt ein Blick auf folgende Zahlen: Demnach haben die Frankfurter mit 37 Tacklings (energische Zweikämpfe) pro 90 Min. die meisten der Liga vorzuweisen, wovon im Schnitt 20 erfolgreich sind – Bestwert der Bundesliga! Auf Basis der genannten Daten scheint es folglich wenig überraschend, dass aus dem aggressiven Spiel gegen den Ball heraus mit durchschnittlich 59 Balleroberungen / pro 90 Min. die meisten der Liga resultieren. Die dargelegte Ausrichtung dient den Frankfurtern dabei als Basis für ihr so erfolgreiches Offensivspiel (nach 27 Spieltagen: 55 Tore, zweitbester Wert – gemeinsam mit Borussia Dortmund). Durch den großen Druck im Mittelfeld führen die viele Balleroberungen in der Folge zu gefährlichen Umschaltaktionen und Kontern (17,4 / Spiel, Höchstwert der Bundesliga!), woraus im Schnitt 2,9 Abschlüsse pro 90 Min. erfolgen.
Im letzten Drittel des Spielfelds agieren die Frankfurter primär durch das Zentrum (ligaweit die drittmeisten Angriffe durch das Zentrum, 25 / Spiel) oder über Kostićs linke Seite (ligaweit die zweitmeisten Angriffe über links, 30 / Spiel). Vor allem das Offensivduo Kostić und Silva scheint sich hier als wahres Erfolgsrezept herauszukristallisieren. Mit neun Flanken pro 90 Min. und einer starken Erfolgsquote von 33,7% schlägt Kostić die Bälle punktgenau. Mit Dost als Vorgänger und aktuell Silva als Anspielstation hat der Serbe in der Box den perfekten Abnehmer – folglich hat die Eintracht ligaweit die zweitmeisten Abschlüsse per Kopf (2,6 / 90 Min.) vorzuweisen. Doch wer das Spiel der Frankfurter im letzten Drittel ausschließlich auf das Flankenspiel begrenzt, wird der Elf von Adi Hütter bei weitem nicht gerecht. Vor allem seit dem Abgang von Target Man Bas Dost kommen mit Kamada und Younes nun häufig zwei zentrale Offensivmittelfeldspieler gleichzeitig zum Einsatz. Das Resultat: Die Eintracht tritt mit deutlich mehr Kreativität auf und ist für die Gegner nur schwer ausrechenbar. Agierte Frankfurt 2019/20 noch mit vielen langen Bällen auf Dost (zweitmeisten lange Bälle der Liga), sind die Adlerträger nun deutlich variabler. Während Kostić auf seiner linken Seite mit vielen Flanken und durchschnittlich 3,1 erfolgreichen Dribblings pro 90 Min. (62% Erfolgsquote) für mächtig Wirbel sorgt, stellt der Japaner Daichi Kamada mit 1,13 kreierten Torchancen und 1,5 Schnittstellenpässen (je pro 90 Min.) die gegnerischen Defensivreihen vor große Probleme. Amin Younes, der aufgrund seiner überzeugenden Leistungen kürzlich für die Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaft 2022 von Joachim Löw zur Nationalmannschaft berufen wurde, kommt in der aktuellen Saison auf starke 4,9 erfolgreiche Dribblings und sieben gewonnene Zweikämpfe (47% erfolgreich) pro 90 Minuten.
Die beiden Sechser in Person von Rode und Sow (Alternativen: Ilsanker und Hasebe) nehmen derweil kaum am Offensivspiel der Frankfurter teil – beide kreieren im Schnitt weniger als 0,3 Torchancen pro 90 Min. Allerdings sind auch sie elementar wichtige Bauteile in Hütters taktischer Ausrichtung, da sie der Offensive stets den Rücken freihalten. So agiert Djibril Sow, von Natur aus Box to Box Spieler, oft als Holding Midfielder (weniger Dribblings und Offensivaktionen, läuft stattdessen Lücken im Mittelfeld zu), dem vor allem sein gutes Stellungsspiel zugutekommt. Primär mittels der bereits vorhin erläuterten Anzahl an Tacklings unterbinden Rode und Sow so vielversprechende Angriffe der Gegner. Der niedrige PPDA Wert ist demzufolge auch auf das defensive Mittelfeld zurückzuführen, hier wird geschickt nachgerückt, sobald die Angreifer auf den Gegner schieben.
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4. Märchenhafte Gegenwart und ungewisse Zukunft
Was die wenigsten Adi Hütter zugetraut haben, ist dem Österreicher in Perfektion gelungen: Das aggressiv und offensiv geprägte Spiel Kovacs beizubehalten und es zu perfektionieren. Durch die anfänglichen Schwierigkeiten ließ sich der 51-jährige nicht beirren und formte eine Frankfurter Mannschaft, wie sie die Fans seit Vereinslegende Jürgen Gabrowski (2x Pokalsieger, 1x Deutscher Meister mit der Eintracht) nicht mehr erleben konnten. Hütter, der das Handwerk, bei ihren Vorvereinen kaum eingesetzte Spieler zu absoluten Leistungsträgern zu formen, wie kein Zweiter beherrscht, steht mit seiner Mannschaft nach dem 2:1 Sieg über Borussia Dortmund kurz vor dem Einzug in die Champions League. Kaum auszumalen, was am Main los sein würde, sollte die Eintracht dieses Ziel erreichen. Gerne blickt man in dem Kontext auf Hütters erste Spielzeit zurück, als Frankfurt nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz Fußballeuropa elektrisierte, und sich mit der Büffelherde bestehend aus Jović, Rebić und Haller bis ins Halbfinale der Europa League vorspielte, bis man sich dort nach einem aufopferungsvollen Kampf an der Stamford Bridge der Oligarchentruppe von Chelsea London im Elfmeterschießen geschlagen geben musste.
Aus Sicht der Eintracht bleibt abschließend nur zu hoffen, dass die Macher dieses Erfolgs dem Verein die Treue halten. Nachdem die Hertha weiterhin auf der Suche nach einem neuen Manager ist, wird Fredi Bobic ein großes Interesse an dieser Aufgabe nachgesagt, vor allem vor dem Hintergrund, dass seine Familie weiterhin in Berlin wohnhaft ist. Die Führungsetage der Frankfurter hat er laut Philip Holzer, Aufsichtsratsvorsitzender der Eintracht, bereits über seinen Abgang am Ende der aktuellen Spielzeit informiert; trotz gültigem Arbeitspapier bis 2023. Hütter hingegen gilt als ernsthafter Folgekandidat für Marco Rose in Mönchengladbach, der zur neuen Saison den Trainerposten in Dortmund übernehmen wird. Somit stehen den Fans aus Frankfurt trotz der aktuellen Erfolge turbulente Wochen ins Haus. Die möglichen Abgänge von Bobic und Hütter hätten das Ende einer Ära zufolge; die Gerüchte werden die Freude über die fast schon sichere Champions League Qualifikation bei den Fans jedoch kaum trüben können.
Sehr guter Artikel